Die Yamas und Niyamas

Die yogischen Verhaltensregeln für den Umgang mit Anderen und sich selbst


Yoginis und Yogis versuchen häufig ihr Leben an Yamas und Niyamas zu orientieren. Den Regeln für den Umgang mit Anderen und den Regeln für den Umgang mit sich selbst. Patanjali definierte diesen yogischen Verhaltenskodex in seinem Yogasutra. Das Standardwerk für die Philosophie des Yoga. 

Auch ich habe festgestellt, dass mich ein regelmäßiger Abgleich meiner Gedanken, meiner Taten und meiner Gewohnheiten mit den Yamas und Niyamas zufriedener macht. Das gelingt natürlich bei Weitem nicht immer. Aber, wie es so schön heißt, immer öfter. Gerade in schwierigen Situationen sind mir die Yamas und Niyamas eine große Hilfe.

Die Yamas

wie gehe ich mit anderen Menschen und mit meiner Umgebung um?

Die Regeln für den Umgang mit meiner Umgebung (Yamas)  machen es mir viel leichter Menschen wertschätzend und liebevoll zu begegnen obwohl sie vielleicht in diesem Moment nicht die Meinung oder die Ausdrucksweise oder Umgangsform haben, die ich mir wünschen würde. Gleichzeitig ermöglicht der Versuch die Yamas  zu beachten immer auch einen etwas gefühlsbefreiteren und damit klareren Blick auf Situationen.

Die Yamas sind:

Ahimsa – Gewaltlosigkeit

Satya – Wahrhaftigkeit

Brahmacarya – Keuschheit

Aparigraha – Nichtannehmen von Geschenken

Asteya – Nichtstehlen

Das sind selbstverständlich große Worte, die in unserem Alltag nicht unbedingt wörtlich genommen werden müssen und durchaus auch Interpretation und Dehnbarkeit zulassen.  Deine persönliche Einhaltung der Yamas muss auch immer mit Deinem persönlichen Leben vereinbar sein. Hierbei ist immer auf eine Balance zwischen dem Wunsch die Yamas und Niyamas einzuhalten und den Grundbedürfnissen und Wünschen der Liebsten und sich selber zu achten. Unser aller Alltag wird leider vermutlich nie in allen Facetten von Yamas getragen sein. So umfassend, wie möglich ist hier schon viel. Einfach mal beginnen Gedanken, Taten und Gewohnheiten mit den Yamas abzugleichen ist ein großer erster Schritt.

Ahimsa - Gewaltlosigkeit

Gewaltlosigkeit in der Sprache ist das Erste, was mir hierbei einfällt. Früher hörte ich immer wieder: „Erst denken, dann reden“ Ganz kurzer Gedankencheck: „Wie wird sich mein Gegenüber mit meinen Worten fühlen?“ Schwere Übung am Anfang. Wird mit der Zeit immer einfacher. Gewaltlose Sprache öffnet unglaublich viele Türen sehr weit.

Für die meisten Yogis und Yoginis ist Ahimsa natürlich ganz eng mit der Ernährung verknüpft. Ahimsa ist der Grund, warum praktizierende Yoginis und Yogis meist Vegetarier und ganz oft Veganer sind.

Satya - Wahrhaftigkeit

Satya wird heute auch oft Authentizität genannt und muss eigentlich nicht erklärt werden. Nur geübt. Gerade in unserer medial verwurzelten Welt, ist es nicht leicht bei der Wahrheit zu bleiben. Schnell ist mal was dazugeschummelt oder weggelassen. Das eigene Bild im Kopf ist der Maßstab. Nicht die wahre, nackte Wirklichkeit. Die tut oft auch einfach zu weh. In meinen Augen gehört zu Satya als Erstes das Annehmen der Wahrheit ohne Schnörksel, Filter und Farbe. Dann kann man auch bei der Wahrhaftigkeit bleiben. Ein langer Weg. Wahrscheinlich ein lebenslanger. Satya im Außen bedingt immer erst Satya im Innen.

Brahmacarya - Keuschheit

Keuschheit hört sich erstmal niederschmetternd an. Wir assoziieren das Wort Keuschheit heute sofort mit sexueller Enthaltsamkeit. Sicher war das auch genauso gemeint, als die Yamas und Niyamas definiert wurden. Wie gesagt ist es wichtig die Verhaltensregeln in unseren heutigen Alltag einzubetten. Seinerzeit war die Keuschheit gefordert, um Kraft für den Yogaweg zu haben. Enthaltsamkeit an der einen Stelle, um an anderer Stelle Kraft für Zukunftsweisendes zu haben, bedeutet für mich persönlich heute Brahmacarya. Fahrrad statt Auto möglichst oft, könnte man als Brahmacarya definieren. Auch nicht zu missionieren trotz eines starken Bedürfnisses, wenn das Gegenüber anderer Meinung ist, sondern die Kraft und die Gedanken lieber auf fruchtbaren Boden fallen zu lassen. Für mich bedeutet Brahmacarya einfach nicht jedem Bedürfnis sofort nachgeben zu müssen. Das macht sehr frei.

Aparigraha - Nichtannehmen von Geschenken

Nichtannehmen von Geschenken verhält sich, nach meinem Dafürhalten, ähnlich wie Brahmacarya. Natürlich sollst Du liebevolle Geschenke von netten Menschen annehmen. Genauso, wie Du Sex haben sollst, der Dich erfüllt. Heute kann man das so verstehen Geschenke hinterfragen. Viele Geschenke sind nicht absichtslos. Sie fordern Konsequenzen. Geschenke, mit deren Konsequenzen Du nicht leben willst sind hier gemeint. Geschenke, die Dich beeinträchtigen oder an jemanden oder etwas binden. Alle Geschenke, die im Geist unfrei machen. Manche Yogis und Yoginis machen sich deswegen frei von jeglichem Besitz. Besitz bindet in ihren Augen immer. Ich für mich lebe Aparigraha so, dass ich Angebote und Geschenke auf ihre Nachhaltigkeit überprüfe. Was habe ich von diesem Angebot jetzt, nächste Woche und in zwei Jahren. Von einem besonderen Urlaub werde ich ein Leben lang zehren. Ob ich meine Jeans gebraucht oder neu gekauft habe, ist mir in zwei Jahren egal. Die Welt wird aber in zwei Jahren mit entsprechend weniger Chemie belastet sein.

Asteya – Nichtstehlen 

dieses Yama erschließt sich natürlich auf den ersten Blick von selber. Ausnahmsweise, oder besser im Gegensatz zu allen anderen Yamas, sagt das sogar das bürgerliche Gesetzbuch. Stehlen ist bei Strafe verboten. Klar! Ich darf niemandem seinen Besitz einfach wegnehmen. Natürlich ist es auch ganz ungut einem anderen Menschen die Zeit zu stehlen, indem ich eine Verabredung kurzfristig nicht einhalte oder ihm das Selbstbewusstsein zu stehlen, indem ich ihn mit abschätzigen Blicken bedenke. Das Nichtstehlen der Yamas geht noch weiter. Ähnlich wie Brahmacarya und Aparigraha. Man könnte es auch mit Nichtbegehren erklären. Begehren von materiellen Dingen oder auch Emotionen erzeugt Druck. Wenn ich meine Gedanken auf das Nichtbegehren ausrichte, kann ich meinen Alltag von unnötigem Druck befreien. Wenn ich nicht das neueste, aktuellste Modell irgendeines Konsumgegenstandes so sehr begehre, dass ich mich dafür verschulde, bin ich automatisch freier. Die Natur auch. Alles, was nicht konsumiert wird, entlastet unsere Natur.  Wenn ich nicht unbedingt den einen Satz, den einen Blick meines Gegenübers begehre, einfordere, kann ich jegliche Kommunikation viel ergebnisoffener, freier und spannender führen.

Die Niyamas 

Wie gehe ich mit mir um?
Neben dem Fokus auf dem Umgang mit meiner Umgebung ist es nach dem Yogasutra ebenso wichtig darauf zu achten, wie ich mit mir, meinem Inneren und Äußeren umgehe. Auch hierzu hat Patanjali fünf existenzielle Verhaltensregeln definiert. 

 Sauca - Reinheit

Sauca heißt sich äußerlich, wie innerlich rein zu halten. Äußerliche Reinheit versteht sich von selbst. Indem man seinen Körper und auch seine Kleidung rein hält wertschätzt man zum einerseits den eigenen Körper und andererseits auch sein Gegenüber. Indem ich meinen Lebensraum rein und geordnet halte hat auch der Geist leichter die Möglichkeit sich zu ordnen. Sauca bedeutet auch die Gedanken rein zu halten. Sich mit klarem Blick zu beobachten. Sich nicht zu überhöhen aber auch nicht klein zu machen. Sich mit Wichtigem gedanklich zu beschäftigen und nicht viel Energie in Äußerlichkeiten, wie Prestige zu investieren. Das Reinhalten der Gedanken beinhaltet im weitesten Sinne auch, sich nicht zu sehr in Emotionen zu verlieren. Große Traurigkeit oder große Euphorie in sich zwar zu beobachten sich aber sich nicht darin zu verlieren. 

Santosa - Zufriedenheit

Zufriedenheit, ja, danach strebt jeder Mensch. Ich schreibe auch gerne als Geburtstagswunsch "Ein zufriedenes neues Lebensjahr...." Meist knüpfen wir unsere Zufriedenheit an Bedingungen. An äußere Umstände. Nach dem wenn - dann Prinzip. Wenn ich den neuen Job bekomme, dann bin ich sicher zufrieden. Wenn ich ein Kind habe - dann bin ich bestimmt zufrieden. Jeder kennt ähnliche Gedanken. Santosa meint genau das Gegenteil. Bedingungslose Zufriedenheit. Zufriedenheit mit dem, was Dir gegeben ist. Das ist sicher leichter, wenn das Leben gerade rund läuft. Gerade in schwierigen oder sogar schlimmen, unüberwindbar erscheinenden Phasen des Lebens ist Santosa manchmal fast überlebenswichtig. Hier kann man Santosa mit Annehmen interpretieren. Weitergehend sogar mit klaglos annehmen. Denn erst, wenn man eine Situation angenommen, sie gespürt hat und hinnehmend durch sie hindurchgegangen ist, kann sie sich lösen und in Zufriedenheit auflösen. Vielleicht sogar Dankbarkeit zu empfinden gestärkt und gewandelt aus einer schweren Zeit aufgestanden zu sein.

Tapas - Askese

Nein, hier sind nicht die spanischen feinen Snacks gemeint. Sondern auf den ersten Blick das Gegenteil. Askese werden die meisten von uns auf Nahrungsaufnahme beziehen. Mit tapas ist aber viel mehr gemeint. Tapas könnte auch mit Maß halten erklärt werden. Maß halten in der Nahrungsaufnahme natürlich auch. Ein praktizierender Yogi oder eine praktizierende Yogini wird nicht über den Hunger hinaus essen. Sich auch nicht mehr aufnehmen, als zu schaffen ist. Tapas für uns heutige Menschen ist vor allem Maß halten in unseren Wünschen. Die Unterscheidung zwischen Bedürfnis, echtem Bedürfnis und Wunsch. Ein Bedürfnis soll natürlich möglichst gewaltfrei befriedigt werden. Auch ein Wunsch darf befriedigt werden. Wenn aber die Gedanken von einem Wunsch zum nächsten hetzen, einen Wunsch nach dem anderen als Bedürfnis fehl interpretieren. Wenn ein Kleidungsstück nach dem anderen gekauft wird. Wenn ein Media- Beitrag nach dem anderen erstellt wird, wenn eine Bestzeit in der Joggingrunde nach der anderen angestrebt wird, dann macht das unfrei. Tapas lehrt uns hier Maß zu halten. In Dich zu gehen, bevor Du den nächsten Bissen nimmst gut zu kauen, vollständig zu schmecken, langsam zu schlucken. Tapas lehrt uns Eine Nacht darüber zu schlafen, bevor man etwas anschafft und abzugleichen ob nicht etwas Ähnliches schon vorhanden ist. Tapas lehrt uns nicht Höchstleistungen von unserem Körper und Geist zu erwarten sondern die vorhandene Energie maßvoll auf alle Facetten unseres Lebens zu verteilen. Denn nur dann ist es ein vollständiges rundes Sein. Wenn ein Bereich des Lebens, des Geistes, des Körpers überhand nimmt ist das Maß verloren und die Einheit, nach der wir Yoginis alle streben, ist nicht möglich. Tapas lehrt uns somit, dass im Masshalten Freiheit liegt und nur aus dem Masshalten, aus dieser Freiheit heraus, Einheit möglich ist.

Svadhyaya - Schriftstudium

Das Schriftstudium hört sich sehr sperrig an. Für mich persönlich ist es ein sehr, sehr wichtiger Teil meines Sadhanas, meiner Yogapraxis. Ich wage mich hier mal an eine sehr freie Interpretation von Svadhyaya. Denn nicht Jedem Menschen bringt das Lesen, das Studieren des Yogasutras oder der Bhagavad Gita etwas. Ich gehe aber davon aus, dass sich jeder Mensch entwickeln möchte. Svadhyaya heist im Weitesten Sinne, tu Dinge, die Dich weiterbringen. Geistig, mental, auch körperlich. Lerne von Menschen, die Dir dabei helfen können. Studiere Techniken, die Dir helfen in Deiner Mitte anzukommen. Ob sich das dann um einen Podcast, um ein Video um ein Buch oder auch um einen Kurs handelt, würde ich in der heutigen multimedialen Welt, als unwichtig erachten. Wichtig ist hier natürlich gleichzeitig tapas und sauca zu praktizieren. Sich nicht in übermäßiger Aktion zu verlieren zum Beispiel.

Ishvara pranidhara - Gottesverehrung

Wie verehre ich Gott, wenn ich doch nicht an ihn glaube? Yogis und Yoginis glauben nicht an den einen Gott sondern an das Göttliche und zwar in allem. Überall um und in Dir ist das Göttliche. Gottesverehrung bedeutet damit im Weitesten Sinne Wertschätzung gegenüber allem in Dir und um Dich. Indem Du Dich wertschätzend und liebevoll, also verehrend, gegenüber Dir selbst und allem um Dich herum verhälst, verehrst Du Gott. So leicht zu erklären und so schwer umzusetzen. Natürlich kann die Gottesverehrung auch konkreter werden. Mantras singen, bestimmte Formen der Meditation, Visualisierung des Göttlichen während Deiner Hatha-Yoga-Praxis. Aber das muss alles nicht sein. Grundlegend ist ausschließlich der liebevolle, verehrende Umgang mit Dir und allem in Dir und um Dich. 

Das Beachten der Yamas und Niyamas öffnet den Blick für die Konsequenzen der Gedanken, der Taten und Gewohnheiten. Wenn die Yamas und Niyamas nachhaltig in den Alltag integriert werden, ist es möglich den eigenen Charakter zu formen. 

Om Shanti und alles Liebe

Deine Kirsten Parashakti